Liebe A.,
Ich werde Dir später auf Deine Frage nach dem Sinn von Weinstein antworten. Ich hoffe, du verzeihst mir. Für diese Woche habe ich selber eine dringende Frage, nämlich: Was ist Wein?
Ob dies eine gute oder eine schlechte Frage ist sei dahingestellt, es ist zu spät, jetzt steht sie da.
Wenn man wirklich einmal darüber nachdenkt, merkt man bald, dass eine einzige Antwort dem Wein sicherlich nicht gerecht wird: Wein ist vergorener Traubensaft, Wein ist ein Agrarprodukt, hergestellt von bodenständigen Handwerkern und Bauern, aber auch von hochqualifizierten Technikern und von der Industrie. Wein ist ein Naturprodukt, aber ohne des Menschen Hand (fast) nicht möglich, Wein enthält ein starkes Rauschmittel – Alkohol, Wein ist schmackhaft, Wein ist gesund für Herz und Kreislauf, Verdauung und vielleicht sogar fürs Hirn, Wein ist europäisches und christliches Kulturerbe und hat sogar derweilen etwas Mystisches, Wein ist ein Nahrungsmittel, eines der geschmacklich Vielfältigsten unserer Tafeln, Wein ist gemütliches Beisammensein, Wein ist Begleiter festlicher Momente, Wein ist Bildung, Wein ist Lebenskunst, Wein ist Geheimnisvoll, Wein ist Luxus, Wein ist Statussymbol –zumindest was einige Etiketten und Preise angeht.
Und Wein ist Inspiration für Kunst und Dichtung:
„Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse“ (Salvador Dali), „Vom Urbeginn der Schöpfung ist dem Wein eine Kraft beigegeben, um den schattigen Weg der Wahrheit zu erhellen“ (Dante), „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben“ (Wilhelm Busch)...
Und es gibt noch viele weiter Beispiele. Vor allem aber ist Wein weit verbreitet und allen zugänglich, ein populäres Getränk geradezu, und doch auch wieder fast unnahbar und scheinbar kompliziert.
„Riechen und Verkosten kann man lernen, ähnlich wie den Genuss von Kunst.“
Das versprach ich in einem Artikel in der Rhein-Neckar Zeitung vor einigen Monaten... Kunst und Wein – beide werfen Fragen und Fragezeichen auf und häufig bleibt man lieber in sicherer Entfernung, als ihnen gefährlich nahe zu kommen. Natürlich kann jeder ohne Expertenhilfe entscheiden, welchen Wein er gerne Trinkt und welches Bild seinen Augen gefällt, doch wenn man erklären soll warum, fehlen häufig die Worte. Befindet man sich in einer Ausstellung oder bei einer Weinverkostung, so bezeichnet man schnell ein Bild als „schön“ oder „hässlich“ und einen Wein als „lecker“ oder „ungenießbar“. Aber meistens nur ganz leise, weil man nicht gerne von denen gehört werden möchte, die „Ahnung“ haben...
Nächsten Sonntag weiter...